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Interview: August 2008
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Georgia on my Mind

Volker Doberstein (Jazz Podium, 1999)

Spätestens seit Aziza Mustafa Zadeh wissen wir, daß in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion eine neue Generation origineller und zudem hervorragend ausgebildeter Jazzmusiker herangewachsen ist. Paata (sprich: Pa-ata) Demurishvili ist hierfür das jüngste Beispiel. Der aus Georgien stammende, inzwischen aber in Deutschland lebende Pianist ist längst mehr als ein hochgehandelter Geheimtip.

Paata, du hast an den renommiertesten Ausbildungsstätten in Georgien und Rußland studiert, wurdest unter die besten klassischen Pianisten der ehemaligen Sowjetunion gewählt und hattest fraglos eine Karriere als Konzertpianist vor dir. Wie kommt ein Musiker mit dieser Biographie zum Jazz?

Das war Schicksal. Ich hatte einen Unfall. Dabei habe ich einen Finger verloren. (Entgeistert taxiert der Interviewer die Hände des Pianisten - alle zehn Finger sind noch dran!) Eigentlich war es ja nur ein kleiner Kratzer, aber sehr tief. Die Sehne war durchgeschnitten, und ich konnte den Finger nicht mehr bewegen. (Er deutet auf den kleinen Finger der rechten Hand.) Der Arzt im Krankenhaus hat dann einen großen Fehler gemacht. Er hat die Sehnenenden so straff wieder zusammengenäht, daß es zu einer Kontraktur gekommen ist. Vier Jahre lang stand mein Finger im 90-Grad-Winkel nach unten ab. Völlig steif. Zuerst war ich natürlich geschockt. Weil ich gemerkt habe, daß es mit der klassischen Musik vorbei war. Dann aber auf der Geburtstagsparty eines Freundes, hörte ich eine Platte und wußte nur: Das war keine Klassik! Von Jazz hatte ich bis dahin keine Ahnung. Hätte mich damals jemand gefragt, ob ich auch Jazz spielen könnte, hätte ich wahrscheinlich gefragt: Jazz? Was ist das? Ist das Tomate oder Apfel? Ich war sofort fasziniert von diesen Blockakkorden, diesen rhythmischen Variationen, dieser Freiheit. Es war eine Aufnahme des Oscar Peterson Trios. Ich habe mir die Platte überspielt. Ich habe sie mir tausendmal angehört. Es war, als wäre die Sonne noch einmal aufgegangen. Ich hatte endlich wieder gute Laune. Ich war wie besessen von dieser Musik, wollte jeden Ton, jeden Akkord, jeden Lauf nachspielen. Das war meine Rettung. Und mein Einstieg in den Jazz.

Hat sich dein Verhältnis zum Klavier durch den Unfall verändert? Wie hast du dich dem Instrument wieder genähert?

Zunächst einmal möchte ich sagen, daß ich das Klavier zu keiner Zeit vergessen konnte. Ich habe mit vier Jahren angefangen zu spielen. Was mich deprimierte, war, daß ich keine klassische Musik mehr spielen konnte. Ich war noch nicht mal in der Lage, eine Oktave richtig zu greifen. Der Jazz hat mir also vor allem insofern geholfen, als ich nun Läufe und Melodien spielen konnte, die ich bequem mit vier Fingern bewältigen konnte. Ich habe hierfür eine spezielle Technik entwickelt, in welcher dem vierten Finger eine größere Bedeutung zukommt. Und was Dinge wie Toucher oder Klang anbelangt, das hat man einmal gelernt, das bleibt einem, egal ob mit vier oder mit fünf Fingern.

Der Finger, von dem du sagtest, du hättest ihn "verloren", ist heute zumindest wieder gerade.

Der Finger wurde insgesammt noch dreimal operiert. Zuerst wurde der Knochen aufgebohrt, dann genagelt und der Finger in einen Streckapparat gesteckt. Man hoffte, so würde er vielleicht wieder gerade und die Sehne gedehnt. Doch kaum war der Apparat abmontiert, begann sich der Finger wieder zurückzubiegen. Ein Spezialist in Heidelberg hat mir später gesagt, er habe noch nie einen so kaputten Finger gesehen. Er wußte gar nicht, wo er die abgerissenen Weichteile wieder annähen sollte. Während der Operation hat er mir erklärt - ich verstand damals noch kein Wort Deutsch und mußte mir alles von einem Freund übersetzen lassen -, daß er den Finger wieder einigermaßen gerade bekommen könnte. Er müßte dazu ein Stück Sehne herausschneiden. Die beiden vorderen Gelenke würden aber steif bleiben. Und da hab ich gesagt: "Okay, schmeißen Sie´s weg!" - Durch Krankengymnastik und ein spezielles Training hat sich dann eine gute Muskulatur im Finger aufgebaut, so daß ich heute wieder vieles spielen kann.

Auch Klassik. Hin und wieder gibst du Konzerte, bei denen du im ersten Set klassische Solo-Klavierstücke spielst - derzeit Rachmaninov, Chopin, Beethoven, Mozart - und erst im zweiten Set Jazz mit deinem Trio. Gibt es für dich signifikante Berührungspunkte zwischen beiden Musikgattungen?

Eigentlich nicht. Die Technik ist ja da, über die denkt man nicht mehr nach. Ansonsten fühle ich mich im Jazz als eine Art spontaner Komponist. Was ich einmal live spiele, werde ich nie mehr wiederholen können. Außerdem ist im Jazz die Spannung viel größer, weil verschiedene Faktoren mitspielen: wie ich drauf bin, wie das Publikum reagiert, wo ich spiele. In der Klassik bin ich viel stärker gebunden. Ich muß etwas spielen, was vorher komponiert wurde. Ausgangspunkt im Jazz ist der Regel mein Gedanke, in der Klassik ist es der Gedanke eines anderen. Und diesen Gedanken, dem einen wie dem anderen, ist man dann verpflichtet.

Wie bereitest du die verschiedenen Sets vor?

Um ein klassisches Repertoire vorzubereiten, brauche ich zunächst einmal sehr viel mehr Zeit. Weil ich klassische Stücke grundsätzlich auswendig spiele, muß ich erst einmal den reinen Text lernen - unabhängig von der Bearbeitung. Und dann beginnt, Takt für Takt, die Feinarbeit, sozusagen die Mikrochirurgie. Im Jazz ist das nicht in diesem Maße nötig. Weil das im Konzert durch Spontaneität und Intuition geschiet. Ich habe zwar eine Vorstellung davon, wie die melodische Linie, wie die Improvisation durchgezogen werden soll, doch eigentlich sind die schönsten Momente die, in denen ich mich selbst überrasche. Aber eines muß ich gestehen: Ich bin immer froh, wenn der klassische Teil vorbei ist. Dann kann ich mich richtig entspannen.

Deine CD "Georgia" enthält eine ungewöhnlich frische originelle Version des Ellington-Klassikers "Caravan". Ich würde sogar von einer beinahe folkloristischen Lesart sprechen.

Ja. Ich wollte, wie wahrscheinlich jeder, etwas Außergewöhnliches aus dem Stück machen. Die vielen Rhythmuswechsel, die für die Stimmung ganz entscheidend sind, leiten sich von einem georgischen Tanz ab. Das Intro wiederum enthält einige asiatische Elemente und steht im ungewohnten 15/16-Takt. (Er "spielt" das Stück auf der Tischplatte und zählt den Takt mit.)

Der Dichter Jean Paul schrieb einmal: "Wir hören eigentlich keinen Klang als Klang, sondern als Sprache, jeden Ton als ein gesprochenes Wort". - Wovon "spricht" demzufolge deine Musik?

In meinem Spiel ist viel Leid, Schmerz, aber auch Hoffnung. - Im übrigen könnte man es auch umgekehrt sehen: Ich nämlich nehme Worte als Klang wahr. Beispielsweise hat jede Sprache ihre eigene unverwechselbare Melodie. So habe ich Deutsch gelernt. Über den Klang vor allem. (Lacht.) Einer der Vorteile des absoluten Gehörs vielleicht.

Deine CD trägt den Titel "Georgia". Georgia bezeichnet sowohl deine Heimat Georgien als auch einen amerikanischen Bundesstaat. Steckt dahinter die Idee, zwei gänzlich unterschiedliche Kulturkreise zusammenzuführen?

Das Wortspiel ist natürlich beabsichtigt. Ich spiele zwar Jazz, aber in meiner Musik steckt viel von meiner Heimat Georgien - ein wunderschönes Land. Wir selbst sprechen den CD-Titel auch nicht amerikanisch aus. Aber natürlich wissen wir, daß alle sofort an das amerikanische Georgia denken. Weil mit Georgien kaum jemand Jazzmusik verbindet, ist dieses kleine Mißverständnis wahrscheinlich sogar ein kleiner kommerzieller Vorteil. Zumindest hoffen wir das.

Gibt es für dich eigentlich so etwas wie ein Klangideal?

Ja, das gibt es. Ich kann es nicht beschreiben. Aber ich weiß immer ganz genau, wie etwas klingen soll. (Lacht.) Nur: Ob der Flügel mir die entsprechende Antwort gibt, das ist etwas völlig anderes...

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